Molekulare Systeme, Partikel und zelluläre Prozesse

Die Wechselwirkung von Molekülen untereinander sowie mit Partikeln und nanostrukturierten Oberflächen hängt entscheidend von der räumlichen Anordnung und Geometrie der beteiligten Komponenten ab. Typische Beispiele dafür sind molekulare Nanostrukturen für photonische Anwendungen, komplex zusammengesetzte organische Partikel und mit Molekülen funktionalisierte Oberflächen. Weiterhin ist der Einfluss solcher Partikel und Moleküle auf zelluläre Prozesse wichtig um biologische Funktionen aufzuklären und in neuen biomedizinischen Verfahren anzuwenden. Um diese Systeme und Reaktionen zu verstehen, ist ein detailliertes Wissen über ihren Ablauf und die Strukturen bis hin zur atomaren Skale notwendig. Einige Beispiele für Untersuchungen die von hochauflösender Elektronenmikroskopie und in-situ Haltersystemen stark profitieren sind im Folgenden kurz ausgeführt:

Exzitonen in molekularen Aggregaten

Molekulare Systeme, die Anwendung in der Photonik, Sensorik oder in Solarzellen finden sollen, sind typischerweise von der Wechselwirkung der beteiligten molekularen Chromophore untereinander sowie mit ihrer Umgebung geprägt. Dabei sind oftmals Details der strukturellen Anordnung der Chromophore entscheidend. Die Arbeitsgruppe um Prof. Stefan Lochbrunner (Kompetenzzentrum Mikroskopie & Spektroskopie) beschäftigt sich intensiv mit Exzitonen in molekularen Aggregaten und zeigte unter anderem, dass es in manchen Fällen bereits beim Übergang vom Dimer zu größeren Aggregaten Änderungen in der Geometrie geben kann, die die Emissionseigenschaften gravierend ändern. So kommt es in dem betrachteten Fall bei einer Temperaturerhöhung und dem damit verbundenen Zerfall von Aggregaten zu Dimeren und Monomeren zunächst zu einer Rotverschiebung und ausgeprägten Verringerung der Fluoreszenz und dann wieder zu einer Blauverschiebung und einem starken Emissionsanstieg [1].

Um dieses komplexe Verhalten zu verstehen oder gar vorherzusagen, ist ein detailliertes Wissen über die mikroskopische Struktur der Aggregate unerlässlich und Voraussetzung für zielgerichtetes Design solcher molekularer Nanostrukturen im Hinblick auf photonische Anwendungen. Mit Hilfe des in-situ Flüssigkeitshalters sollen die Aggregate dabei in unterschiedlichen Lösungsmitteln bei unterschiedlichen Temperaturen analysiert werden, da sich bei Variation des Mediums unterschiedliche Strukturen und Spektren ausbilden.

1F. Fennel, S. Wolter, Z. Xie, P.-A. Plötz, O. Kühn, F. Würthner, S. Lochbrunner, Biphasic Self-Assembly Pathways and Size-Dependent Photophysical Properties of Perylene Bisimide Dye Aggregates, J. Am. Chem. Soc. 135 (2013), 18722.

 

Charakterisierung partikulärer Emissionen

Die Abteilung Analytische Chemie unter Führung von Prof. Ralf Zimmermann beschäftigt sich im LL&M Kompetenzzentrum Massenspektrometrie mit der Charakterisierung partikulärer Emissionen, insbesondere hinsichtlich damit verbundener Gesundheitseffekte beim Menschen. Beispielsweise wurden in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Kolbenmaschinen und Verbrennungsmotoren der Universität Rostock umfangreiche Messkampagnen an einem 1-Zylinder-Schiffsdieselmotor durchgeführt. Dabei ist die Elektronenmikroskopie für die morphologische Charakterisierung der Partikel bedeutend (siehe Abbildung 4) und bietet im neuen HR-TEM durch EDX und EELS zusätzliche analytische Werkzeuge. Ein zusätzliches Anwendungsfeld eröffnet sich bei der biologischen Effektanalyse durch die in-situ Flüssigzellhalter. Die Partikel werden sofort nach ihrer Entstehung auf Lungenzellkulturen oder Makrophagen geleitet um die genauen Wechselwirkungen der deponierten Partikel mit den Zellen zu untersuchen. Um die Untersuchungen auf Herzzellen zu erweitern, wird auch eine Kooperation mit Prof. David (LL&M / Universitätsmedizin Rostock) angestrebt.

Permanente und Abbaubare Implantate

Die Arbeitsgruppe von Prof. Niels Grabow am Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) arbeitet auf dem Gebiet der Biomaterialforschung und Implantattechnologie als Bindeglied zwischen Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie medizinischen Fächern. Forschungsschwerpunkte sind permanente und abbaubare Implantate. Das beinhaltet die Synthese und Modifizierung polymerer, bevorzugt biodegradierbarer Biomaterialien und deren in vitro und in vivo Prüfung (GLP-Labore) sowie die Entwicklung von biofunktionalisierten Implantatoberflächen und diffusions- bzw. chemisch kontrollierten Wirkstofffreisetzungs-systemen, einschließlich von auf die Implantatregion abgestimmten responsiven Implantat-beschichtungen [1]. In den vergangenen Jahren konnte am IBMT ein umfangreiches Methodenspektrum zur strukturellen und morphologischen Charakterisierung von Implantatoberflächen und Wirkstoffbeschichtungen durch elektronenmikroskopische Verfahren etabliert werden, beispielsweise Untersuchungen auf permanenten und abbaubaren Koronarstents.
Diese Untersuchungen werden erheblich von den neuen technischen Möglichkeiten der in-situ Halter in gasförmigen und flüssigen Umgebungen profitieren, im Besonderen in Bezug auf die Korrelation von strukturellen und funktionellen Eigenschaften. Grundlegende Mechanismen, wie die Funktionalisierung von Biomaterialien, die kovalente Ankopplung von funktionellen Proteinen mittels Crosslinker, die Wirkstofffreisetzung, der Einfluss unterschiedlicher externer Stimuli auf Materialien ebenso wie das Degradationsverhalten können damit erstmals unter nahezu realistischen Bedingungen visualisiert werden.
Diese Fragestellungen sind ein zentraler Teil der Forschungsagenda des Verbundvorhabens „RESPONSE – Partnerschaft für Innovation in den Implantattechnologie“ im Rahmen des BMBF-Programms „Zwanzig20“. Darüber hinaus werden wertvolle Beiträge der in-situ Transmissions-Elektronenmikroskopie zu den Forschungsaktivitäten im Bereich Implantat-beschichtungen im Verbundvorhaben „Card-ii-Omics“ (Landesexzellenzprogramm MV) erwartet.

[1] N. Grabow, V. Senz, K.P. Schmitz, Medical device innovations for cardiovascular, ophthalmologic and otolaryngologic applications - Progress report from the Twenty20 consortium RESPONSE, Curr. Dir. Biomed. Eng. 5 (2019), 117.